Freiheit des Glaubens und Systematik des Grundgesetzes :Zum Gewährleistungsgehalt schrankenvorbehaltloser Grundrechte am Beispiel der Glaubens- und Gewissensfreiheit ( Schriften zum Öffentlichen Recht )

Publication subTitle :Zum Gewährleistungsgehalt schrankenvorbehaltloser Grundrechte am Beispiel der Glaubens- und Gewissensfreiheit

Publication series :Schriften zum Öffentlichen Recht

Author: Vosgerau   Ulrich  

Publisher: Duncker & Humblot GmbH‎

Publication year: 2010

E-ISBN: 9783428524273

P-ISBN(Paperback): 9783428124275

Subject:

Keyword: Rechts- und Staatswissenschaften

Language: GER

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Description

Kopftuch- und Kruzifixentscheidung des BVerfG haben deutlich werden lassen, daß bereits die dogmatischen Grundlagen des Umgangs mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes unklar geblieben sind. Diese dogmatischen Grundlagen sind nicht durch oberflächliche oder nur am letztlich beliebigen rechtspolitischen Vorverständnis orientierte Kritik am BVerfG zu gewinnen, sondern in der heutigen Zeit - zur Vorbereitung einer rationalen und demokratisch legitimierten Einwanderungs- und Integrationspolitik - neu und von der Dichotomie grundrechtlicher Freiheit und demokratischer Teilhabe her zu bestimmen. Diese Neubestimmung, die auch den offenen Paradigmenstreit im öffentlichen Recht zwischen Grundordnungs- und Rahmenordnungsthese sowie das institutionelle Grundrechtsdenken, die Prinzipienlehre und die These von der herausgehobenen Bedeutung der historisch-subjektiven Auslegung neu einordnet und fruchtbar macht, führt zu einer gewandelten Perspektive: schrankenvorbehaltlose Grundrechte haben keinen Schutzbereich, sondern einen Gewährleistungsgehalt, d. h. sie sind in die Rechtsordnung eingeordnet. Der Glaube ist wortwörtlich frei, Religionsfreiheit bietet aber keine Handlungsprivilegien im forum externum. Mithin ist auch Art. 136 I WRV keine "Schrankenbestimmung", sondern eine Klarstellung des nichtprivilegierenden Gewährleistungsgehalts der religiösen Freiheitsrechte des Grundgesetzes.

Chapter

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

A. Schrankenvorbehaltlose Grundrechte im System des Grundgesetzes

I. Ausgangspunkte

II. Textbefund und Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht

III. Glaubens- und Gewissensfreiheit als schrankenvorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht

IV. Grundrechtstheoretische Vorüberlegung: die Rahmenordnungs- und die Grundordnungstheorie

1. Verfassungstheorie und Vorverständnis

2. Argumente für die Rahmenordnungskonzeption

a) Historisch-genetischer Ansatz

b) Das Kompetenzverteilungsproblem: Bundesverfassungsgericht und Parlament

c) Methodologischer Ansatz: Abwägungsskepsis

3. Argumente für die Grundordnungskonzeption

V. Eine einfache, textbasierte Grundrechtstheorie

1. „Grundrechtstheoretisches Patt“ zwischen Rahmenordnungs- und Grundordnungsthese

a) Auflösung des Patts durch das „institutionelle Grundrechtsdenken“?

b) Entscheidung durch das Traditions- oder das Fortschrittsargument?

2. Verhältnismäßigkeitsprinzip, Abwägungslehre und differenzierte Schrankensystematik des Grundgesetzes

a) Eine dem Grundgesetz gemäße Grundrechtstheorie muß an die differenzierte Schrankensystematik anknüpfen

b) Schrankenvorbehaltlos gewährleistete Grundrechte sind in die Rechtsordnung eingeordnet

3. Grundrechte, Demokratieprinzip, Verhältnismäßigkeit: die Auflösung der Paradoxien

a) Die Auflösung des Paradoxons „Grundrechtsbindung des Gesetzgebers versus Einschränkbarkeit der Grundrechte durch den Gesetzgeber“ bei den unter Schrankenvorbehalt gewährleisteten Grundrechten

b) Die Auflösung des Paradoxons „keine Einschränkbarkeit der schrankenvorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte“ versus Demokratieprinzip

4. Schutzbereich und Gewährleistungsgehalt von Grundrechten

VI. Kritik des Schmittschen Dogmas

1. Die „primär liberale“ Grundrechtsdogmatik: „in dubio pro libertate“

2. Wurzeln der „primär liberalen“ Grundrechtsdogmatik

a) „Verfassungslehre“ und rechtsstaatliches Verteilungsprinzip

b) Menschenrechte und Grundrechte

3. Das Schmittsche Dogma: Kategorienverwechselung und Leugnung der Normativität der Verfassung

4. Der richtige Kern des Schmittschen Dogmas

a) Allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne der Elfes-Doktrin

b) Ablehung der dogmatischen Figur des „Grundrechtsmißbrauchs“

5. Keine Übertragung der allgemeinen Handlungsfreiheit in die Spezialgrundrechte

6. Der Angriff auf die Demokratie

7. Moderne Umdeutung: Grundrechte als Sprachspiele mit naturrechtlich begründeten Argumentationslasten

VII. Exkurs: Prinzipienlehre als Alternative?

VIII. Der Verfassungsvorbehalt

1. Bundesverfassungsgericht und herrschende Meinung

a) Folgeproblem I: Begründen auch Kompetenz-, Ermächtigungs- und Organisationsnormen Rechtswerte von Verfassungsrang?

b) Folgeproblem II: Übertragbarkeit auch auf relative Grundrechte?

c) Folgeproblem III: das absolute Grundrecht als Abwägungsposten

2. Materiale Allgemeinheit, Prinzipienlehre und institutionelles Grundrechtsdenken

3. Alternative Modelle des Grundrechtsvorbehalts

a) Schutzbereichsbegrenzung durch systematische Auslegung

b) Gewährleistungsbeschränkung durch Wortlautauslegung: Normsatztheorien

c) Vorbehalt der Rechtsordnung

aa) Der Ansatz Krieles

bb) Kritik

4. Kritik des herrschenden Paradigmas: jedenfalls der einfache Landesgesetzgeber kann Bundesgrundrechte nicht „konkretisieren“

B. Kritik der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

I. Kopftuchurteil

1. Religiöse Freiheit auch für Angehörige des öffentlichen Dienstes im Dienst?

a) Bedeutung der speziellen Gleichheitsrechte

aa) Keine Gleichsetzung der Konstellationen aus Kopftuch- und Kruzifixentscheidung

bb) Relevanz des „Sonderstatusverhältnisses“?

b) Gewährleistungsgehalt der speziellen Gleichheitsrechte

aa) „Religiöses Bekenntnis“

bb) Kein Recht auf religiöse Gestaltung der Amtsgeschäfte

cc) Die radikale Gegenauffassung: besondere Persönlichkeitsprägung des Lehrerberufs (Böckenförde)

2. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Grundgesetzes: Systematische Grundlagen

3. Das eigentliche Kernproblem des Kopftuchurteils: religiöse Freiheit nach Maßgabe der einfachen Landesgesetze?

a) Das Ende der überkommenen Schrankensystematik

b) Die „dogmatische Mischverwaltung“

aa) Grundrechtliche und demokratische Legitimation

bb) Grundrechtsausübung unterliegt keiner demokratischen Abstimmung

c) Die Kompromißproblematik

4. Religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates

a) „Positiver“, „umfassender“, „fördernder“ Neutralitätsbegriff

b) „Laizistischer“ Neutralitätsbegriff

c) Der Neutralitätsbegriff des Grundgesetzes

aa) Neutralitätsprinzip als Wort ohne zugehörigen Begriff?

bb) Staatliche Neutralität gegen verfassungsneutrale Weltanschauungen

5. Polizeirechtliche Gefahrenschwelle oder „abstrakte Gefahr“?

6. Recht auf und Zurechnung des Kopftuchs

a) „Meistbegünstigungsproblematik“

b) „Fiskalprivilegsproblematik“

II. Kruzifixbeschluß

1. Kritik der Begründung des Kruzifix-Beschlusses

a) Überblick

b) Analogie Kreuz an der Wand – erzwungene Teilnahme an kultischen Handlungen

c) Subjektivierung des Neutralitätsprinzips

2. Widerspruch zwischen Kruzifix-Beschluß und Kopftuch-Urteil?

a) Das Problem

b) Die Lösung

3. Fazit: Der Gewährleistungsgehalt des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 3 GG, 136 Abs. 2 WRV

4. „Verfassungsnonkonforme“ Auslegung

5. Vermischung und Verwechselung von grundrechtlicher und demokratischer Legitimation

6. Schrankenvorbehaltlos gewährleistete Grundrechte haben keinen „Schutzbereich“, sondern einen Gewährleistungsgehalt

a) Das Selbstverständnis der Grundrechtsträger: hinsichtlich der schrankenvorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte ein Scheinproblem

b) Kein Staatsabänderungsanspruch ohne Rekurs auf das demokratische Verfahren

III. Sonstige Probleme: Schächten, Schulbesuch, Sektenwarnung

1. Schächten

a) Die ältere Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts

b) Begründung des Bundesverfassungsgerichts

c) Kritik

d) Lösung der Schächtungsproblematik

e) Keine Bindungswirkung der Entscheidung; kein Bedarf nach „verfassungskonformer Auslegung“

2. Schulbesuch

3. Die Osho-Entscheidung (Sektenwarnung)

a) Aufbau der Entscheidung

b) Kritik

aa) Richtiger Kern der Osho-Entscheidung

bb) Nochmals: Subjektivierung des Neutralitätsprinzips

cc) Subjektiviertes Neutralitätsprinzip als eigentlicher Gewährleistungsgehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit?

c) Lösung

C. Der Begriff des Gewährleistungsgehalts aus systematischer und aus historisch-subjektiver Perspektive

I. Ausgangspunkte des Gewährleistungsgehaltsdenkens

1. „Sprayer von Zürich“: eine nichtprivilegierende „Einordnungstheorie“ der Kunstfreiheit

2. Nichtprivilegierende Theorien der Wissenschaftsfreiheit

II. Gewährleistungsgehalt und Primat der historisch-subjektiven Auslegung

1. Franz Reimer

2. Jestaedt

3. Kritik der historisch-subjektiven Auslegung

III. Gewährleistungsgehalt als das Ergebnis systematischer Auslegung

1. Maastricht-Urteil

2. Gewährleistungsgehalt als Ergebnis „abstrakter Abwägung“?

D. Der Gewährleistungsgehalt der religiös-weltanschaulichen Freiheitsrechte und der Gewissensfreiheit des Grundgesetzes

I. Rechtspolitische Vorüberlegungen

1. Rechtsstaat, Demokratiegebot, Akzeptanzerfordernis

2. Islamische Herausforderung

II. Das rechtstheoretische Konzept der schrankenvorbehaltlosen Grundrechte

Exkurs: Staatlichkeit und Integrationsaufgabe

III. Strukturparallele zur umweltrechtlichen Grundrechtslehre Murswieks

IV. Gewährleistungsgehalt der Glaubens- und Gewissensfreiheit

1. Gewissensfreiheit als systematisches Muttergrundrecht

a) Systematisch einheitliches Grundrecht

b) Dogmatische Anknüpfung an die im Grundgesetz vorfindlichen Einzelgewährleistungen

2. Die weltanschaulich-religiösen Freiheitsrechte

a) Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit

aa) „Positive“ Seite

bb) Negative Glaubens- und Weltanschauungsfreiheit?

b) Bekenntnisfreiheit

aa) Bekenntnis im Sinne des Grundgesetzes bedeutet primär Konfession

bb) Bekenntnisfreiheit als Spezialfall der Meinungsfreiheit

(1) Die Bekenntnisfreiheit gewährleistet auch eine spezielle Handlungsfreiheit

(2) „Gewährleistungsschranken“ dieser kommunikativen Handlungsfreiheit

cc) Negative Bekenntnisfreiheit?

(1) Art. 136 Abs. 3 WRV

(a) Schweigerecht

(b) Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV als Schranke eines ungeschriebenen grundrechtsgleichen Rechts auf konfessionelle Auskunftsverweigerung

(2) Art. 7 Abs. 3 Satz 3 GG

c) Die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung als positivierte Schutzpflicht

d) Die negative Handlungsfreiheit aus Art. 136 Abs. 4 WRV

e) Religiöse Vereinigungsfreiheit

3. Die Freiheit des Gewissens („im engeren Sinne“)

a) Schutz des forum internum

b) Gewissensgeleitete Handlungsfreiheit?

c) Gewissensfreiheit als Verweigerungsrecht

aa) „Negative Freiheit“ im herkömmlichen Sinne?

bb) Allgemeines gewissensgeleitetes Verweigerungsrecht?

cc) Menschenwürdegeleitetes Verweigerungsrecht

4. Zusammenfassung

E. Objektive Grundrechtsdimension

I. Stand der Diskussion

1. Rein abwehrrechtlicher Ansatz

2. Schutzpflichtenansatz

3. Zwischenergebnis

II. Schutzpflichten

1. Strafrecht

a) §§ 166, 167 StGB

b) Sonstige Vorschriften aus dem StGB

2. Polizeirecht

3. Zivilrecht

III. „Mittelbare Drittwirkung“

IV. Weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates

Zusammenfassende Thesen

Literaturverzeichnis

Personen- und Sachregister

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