Description
Die Begründung von Garantenpflichten bei familiären und familienähnlichen Beziehungen ist ein höchst aktuelles Thema.
Jorge F. Perdomo-Torres stellt fest, dass die Lehren, die eine Begründung für Garantenstellung in diesem Bereich anbieten wollen, bei natürlichen Phänomenen, etwa der engen Lebensgemeinschaft, ansetzen und dadurch keine echte rechtliche Bindung herleiten lassen. Da Recht nicht als Derivat der Natur, sondern als objektiver Geist begriffen werden soll, präsentiert der Autor eine echte normative und zeitgemäße Lösung, die das Kriterium des Vertrauens zum Ausgang hat. Er konkretisiert das Vertrauen an einem objektivierten Tatbestand der "Vetrautheit" und integriert es in einer bestimmten strafrechtlichen Institutionstheorie. Als Vertrautheit wird Vertrauen zu einer Institution, durch welche Rechtsverhältnisse ausgedrückt werden und somit ein Teil der normativen Gestalt der Gesellschaft offenbart wird.
Die strukturelle Verfasstheit der Vertrautheit erweist sich als geeignet für die Ermittlung einzelner Garantieverhältnisse innerhalb der Sachverhalte, die als Muster so genannter familiärer und familienähnlicher Beziehungen gegolten haben. In Anbetracht des stattfindenden Deinstitutionalisierungsprozesses traditioneller intimer Lebensformen und der mit diesem zusammenhängenden Individualisierungstendenzen schlägt der Autor vor, dass Vertrautheit und nicht die Familie als die Institution zu betrachten ist, die neben der Elternschaft strafrechtliche Verbindlichkeit in privaten Lebensbeziehungen heute plausibel begründen kann und dies mit einer ganz konkreten und für das Strafrecht relevanten Verpflichtungswirkung.
Chapter
§ 1 Die Garantenpflichtenbegründung bei den sog. familiären und familienähnlichen Beziehungen: Ein Bezug auf den Vertrauensgedanken
A. Ältere Ansichten und Aktualität der Problematik
I. Ausgangspunkt der Untersuchung
II. Die ältere Rechtspflichtlehre: von Feuerbach bis zum Reichsgericht
III. Die Rechtsprechung des BGH
IV. Die Funktionenlehre: Armin Kaufmann
B. Vertrauensbezogene Lehren im Rahmen der Garantenstellungsdiskussion
II. Der Vertrauensgedanke in der Kausalitätsdiskussion
III. Der Vertrauensgedanke bei den sog. Rechtspflichttheorien
IV. Das Vertrauen bei Böhm und Vogler
V. Die Abhängigkeits-Vertrauensverhältnisse (E. A.Wolff)
VI. Die Rolle des Vertrauens in der Betrugsproblematik
VII. Das durch Vorverhalten erweckte Vertrauen (Blei)
VIII. Das Verhältnis von Erwartung und Vertrauen (Brammsen)
IX. Das besondere Vertrauen (Jakobs)
C. Schlussfolgerungen für den weiteren Gang der Argumentation
§ 2 Rechtssoziologische, rechtstheoretische und rechtsphilosophische Grundlagen der hiesigen Garantenstellungslehre
B. Die Gesellschaft als Hauptbegriff
II. Die Beteiligung des Subjekts
III. Die Bedeutung für das Recht bzw. Rechtssystem
C. Institutionen, Freiheit und Rechtsverbindlichkeit
II. Einzelne Institutionen
1. Die allgemeinen Verkehrsverhältnisse
a) Freiheit als Grundlage der Hegelschen Rechtsphilosophie
aa) Die Person, die Persönlichkeit des Willens und das Anerkennungsverhältnis
2. Die besonderen Statusverhältnisse
a) Die Hegelsche Lehre von der Sittlichkeit und die besondere Verpflichtung
aa) Grundlage der Verpflichtung
(1) Die Ehe und das Eltern-Kind-Verhältnis
b) Die durch Vertrauen begründeten besonderen Statusverhältnisse
aa) Bedürfnisse und sozialer Wandel
cc) Vertrauen und Solidarität
dd) Die Vertrautheit und die Besonderheit des Vertrauens
ee) Die Vertrautheit und ihre Merkmale
α) Selbstdarstellung bzw. Vertrauensnahme
β) Vertrauensgabe bzw. Vertrauensanlage und Vertrauenslage
(2) Stabile Vertrauenslage
gg) Vertrautheit und Rechtsverbindlichkeit
§ 3 Garantenstellungslehre und Strafrechtstheorie
B. Grundzüge einer gesellschaftlich orientierten Strafrechtstheorie
I. Funktion und Aufgabe des Strafrechts in materieller Hinsicht
II. Über die strafrechtlichen Normen
III. Garantenstellungslehre, objektive Zurechnung und Unrecht
IV. Garantenstellungslehre und Schuld
C. Garantieverhältnisse: Grundprinzipien, Zurechnungsgrundlagen und einzelne Ermittlungskategorien
II. Grundprinzipien und Haftungskriterien: Garantenstellungslehre im weiteren Sinne
III. Begründungsfiguren bzw. Ermittlungskategorien: Garantenstellungslehre im engeren Sinne
2. Andere negative Pflichten: aus Vorverhalten entstandene Sicherungspflichten
4. Die Übernahme und die Rolle des Vertrauensgedankens im Allgemeinen
5. Die vom Staat zu erbringenden konkreten Leistungen
§ 4 Privates Zusammenleben und Vertrautheit
B. Vertrautheit oder Familie als strafrechtlich relevante Institution?
C. Vertrautheit und privates Zusammenleben
I. Die Lebenspartnerschaft
1. Allgemeine Charakterisierung vertrauter Lebenspartnerschaften
2. Einzelne wichtige Fragestellungen
a) Selbstbestimmungsrecht und Vertrautheit bezüglich des Themas Leben
b) Praktizierung der Gemeinschaft
c) Gegenseitige Vermögensfürsorge
3. Abschließende und zusammenfassende Bemerkungen
1. Rechtsverbindlicher Charakter der Elternschaft
2. Elterliche Vertrauensleistungen zu Schutz und Fürsorge: Umfang und zeitliche Beschränkung
3. Vertraute Beziehung zwischen Eltern und Kindern
4. Vertrautheit gegenüber Eltern angesichts ihres fortgeschrittenen Alters
III. Vertrautheit in anderen Fällen von privatem Zusammenleben
1. Rechtsverbindlichkeit unter Geschwistern
2. Rechtsverbindlichkeit in Großeltern-Enkelkinder-Verhältnissen, Nichte/Neffe-Tante/Onkel-Verhältnissen und schwägerschaftlichen Verhältnissen
IV. Andere vertraute Gemeinschaften
2. Gefährliche Unternehmen
3. Haus- und Wohngemeinschaften